Uns allen fällt das wunderschöne Foto auf Instagram direkt ins Auge. Wir sind gerade zu süchtig danach. Jeden Tag werfen wir einen Blick in die aktuelle schillernde Welt der Mode, Erlebnisse und Mama-Welten. Da entdecken wir auch die Familie am Frühstückstisch: Das extrem gut aussehende empathische Ehepaar sitzt zusammen mit seinen drei ebenfalls sehr hübschen und natürlich extrem cool angezogenen Kindern am Frühstückstisch. Der Tisch ist liebevoll aber nicht aufdringlich dekoriert, frische Wiesenblumen in einer Vase unterstreichen eine scheinbare Einfachheit und selbstverständlich sitzen alle auf italienischen Designerstühlen mit taupefarbenen Tibetlammkissen.
Das makellos aufgeräumte Wohnzimmer im Hintergrund lässt nicht erahnen, dass hier überhaupt Kinder hausen. Der bärtige Ehemann ist eine gelungene Mischung aus attraktiv und charismatisch und strahlt den perfekten coolen Daddy und Karrieretyp aus, der seiner Familie finanziellen Wohlstand ermöglicht, auf den die Frau Mama aber nicht mal im Gegenzug fürs Kinder erziehen angewiesen ist, denn sie ist selbstverständlich nicht nur schön, sondern verdient nebenbei ihr eigenes Geld als selbstständige Bloggerin, eh klar.
Natürlich hat sie auch einen tollen Namen, sie heißt Emily. Nicht nur, dass Emily auch von drei Babybäuchen kein einziges Gramm Fett zurückbehalten hat, sie scheint ein wahres Omnitalent zu sein. Ihre Haare hat sie trotz frühen Morgenstunden bereits elegant in kunstähnlichen Zopf-Gebilden hochgesteckt, das Outfit wie frisch aus der InStyle: unverwechselbare Designerstücke, die jede Frau sich im Schrank wünscht, aber natürlich mit ein paar H&M Teilen kombiniert, damit das ganze nicht dekadent wirkt und die auf dem Tisch aufgetürmten Pancakes hat sie in diesem Outfit spritz- und fleckenfrei in der Küche gebacken.
Natürlich liegen die Pancakes nicht einfach so auf einem Teller, sondern sind liebevoll mit einem Ensemble von Drachenfrüchten, Cashewkernen und kleinen Milzblättern arrangiert, die ihre Kinder auch noch mit authentischer Begeisterung vom Teller picken. Natürlich jeder mit der Gabel, was denkt denn ihr? Die drei Kinder sind absolut reizend. Die perfekte Mischung aus frech und cool. Von dem braunen Labrador ganz zu schweigen, der als einziger Hund der Welt keine Leisten anzunagen scheint und keine Haare verliert. Damit das ganze auch nicht irgendwie rüberkommt, ist Emily natürlich Fotografin. Sie drückt in genau diesem Moment den Abzug, an dem alle Familienmitglieder den perfekten Gesichtsausdruck haben und schafft es selbst noch aufs Bild, wie auch immer. Selbst der Lichteinfall in ihrem Zuhause scheint perfekt. CHEESE!
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Vermutlich 5684 andere Mamas, die an sich und ihrer Familie runterschauen und sich fragen, ob es jemanden wie Emily wirklich gibt. Und wenn ja, warum sie nicht selbst Emily sind. Oder wenigstens ihr Mann der von Emily. Oder eins ihrer Kinder. Warum können wir nicht so verdammt perfekt sein? Es sieht so einfach aus.
Ja wir wissen es alle. Instagram zeigt Idealbilder. Familien, Essen, das Leben als inszeniertes Kunstwerk. Sie ziehen uns magisch an. Wir liken Fiktion, keinen Realismus. Wie gebannt starren wir auf diese Zauberwelten, folgen Ihnen und schrauben innerlich den Anspruch an uns selbst in die Höhe. Sie sind unbewusst unser neuer Maßstab. Trendige Kinderoutfits, schlanke Mamas, kreative Küchenkünste, das Leben wie es einfach von der Hand geht. Kein Bild von einem schreienden Baby das zahnt oder einer Mama mit dunklen Augenrändern oder fleckigem Oberteil. Nur Familien wie die von Emily. Ich weiß, dass das nicht real ist. Und dennoch fühle ich mich manchmal nicht gut genug. Weil mein Essen nie so lecker aussieht, meine Wohnung nie so aufgeräumt und mein Familienleben nie wie im Bilderbuch. Warum eigentlich nicht? Einfach mal ausprobieren – ein Foto von uns:
Meine Haare trage ich nach vier gescheiterten Flechtfrisuren trotz YouTube Tutorial und zwei verkrampften Fingern wie immer zum einfachen Pferdeschwanz, mein Make-up entspricht der Sorgfalt des 8 Minuten Zeitfensters, das mir mein Sohn zum Duschen erlaubt. Beim Outfit habe ich mich dafür dann schneller entschieden, da leider bisher weiterhin nur die Umstandshose meiner Schwangerschaft passt. Frische Blumen haben wir nur am Hochzeitstag auf dem Tisch, aber gingen auch ein paar gesammelte Kastanien? Sieht doch auch schön herbstlich aus.
Ich hetze in die Küche. Meine Pfannkuchen sind natürlich eine Mischung aus labberig und verbrannt geworden, aber ich dekoriere sie genauso liebevoll mit den exotischten Früchten, die unser Bio-Markt an der Ecke im Sortiment hat: Äpfel und Bananen. Den Teigfleck am Ärmel schlage ich einfach um. Mein Mann sitzt mit Zausehaar und Schlafihose am Tisch. Alles hat seinen Preis. Für die Durchführung meines Style-and-bake Abenteuers muss er sich um den Babymann kümmern. Es kann eben immer nur einer geduscht sein.
Leider verdeckt das große 6-Familienhaus von gegenüber die zarte Morgensonne aber dank Photoshop hellen wir das Bild dann einfach am Computer auf. Natürlich haben wir auch einen Designer Stuhl. Er fällt nur neben dem Laufstall und Kinderstuhl nicht mehr so auf. Die Kamera ist positioniert. Stativ haben wir nicht, aber das muss ja auch irgendwie so gehen. Der Kaffee und die Pfannkuchen sind leider seit einer Viertelstunde kalt, aber es geht ja ums Bild, nicht ums Genießen. Warum werden die Bananen denn so schnell braun? Alle sitzen bereit. Mein Mann ist genervt. Er will einfach nur frühstücken, denn er muss noch einkaufen.
Der Selbstauslöser startet. Tickticktick.
Er nimmt jetzt einen kalten Pfannkuchen mit der Hand, dann steht er auf. Der Babymann weint, ihm fällt sein großer Milchhunger ein.
Tickticktick.
Ich bin im Nebenzimmer und stille den Babymann.
Cheeeeeese. KLICK.
Keiner drauf. Ok lass gut sein, denke ich mir. Wir sind einfach nicht Emily.
Und so sitzen wir gemeinsam am Frühstückstisch, mit Spucktuch und Schnulli bewaffnet, essen leckere Sachen, die einfach auf dem Teller liegen, dafür ist das Ei noch warm, bespaßen abwechselnd den Babymann und sind etwas, um das uns Emily sicher beneidet:
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