In der Schwangerschaft war ich süchtig. Nicht nur nach Schokolade, sondern auch nach Informationen. Eine App informierte mich täglich über die embryonale Größe und was denn genau in meinem Körper passiert. Ich habe nahezu alle existierenden Schwangerschafts- und Elternratgeber gekauft und durchgeackert, jede beim Arzt ausliegende Infobroschüre durchforstet und alle Fotos der InstaMoms regelrecht verschlungen. Eine endlose Auswahl an Erziehungsratgebern und Zeitschriften, Broschüren, Mamablogs und natürlich das große weite Internet, bereiten einen auf die kommende Aufgabe des Elterndaseins vor. Warum schreit mein Baby? Schlaf gut kleiner Schatz, alles mit Höchstbewertungen beim Bücherversand. Jeden Abend plapperte ich meinem Mann vor, was ich gelesen habe, der bei dieser wortgewaltigen Informationsflut vermutlich direkt auf Durchzug geschaltet hat. Ich jedenfalls war gewappnet für das was kommt. Belesen für jede Eventualität. Alles klang so logisch und bewältigbar, Kinder müssen einfach nur Spaß machen, denn eigentlich ist doch alles so einfach.
Dann ist das Baby da und wie im Leben so oft, läuft eben gar nichts nach Plan. Denn genau dieser einzig minikleine Punkt, den du nicht gelesen hast, wird auf einmal zum Problem. Dieses mikroskopisch winzige Detail wird in keinem Buch erwähnt und auch im Vorbereitungskurs widmete man ihm keine Einheit. Unbedeutend für die Welt. Für dich als Neu-Eltern eine absolute Herausforderung.
Ich grüble in meinem Wissensspeicher. Es waren doch alle Probleme mit dem Babyschlaf aufgelistet gewesen: Das Baby schläft nur auf dem Arm ein und lässt sich nicht ablegen, das Baby schläft nie alleine, das Baby schreit stundenlang, bis es schläft oder das Baby schläft nur an der Brust.
Unser Baby lässt sich jedoch problemlos ablegen. Trinken will er nur bis er satt ist. Er schläft auch ohne Geschrei ein. Aber er schläft nur auf dem Sofa im Wohnzimmer. Der wunderschöne geflochtene Stubenwagen, den wir extra von unseren lieben Freunden geliehen bekommen haben, wird einfach verpönt. Sobald ich ihn reinlege, ist es aus mit dem Schlafen und es wird geschrien, bis er raus darf.
Was macht man als Neu-Elternteil meist ganz gut? Man schenkt solchen Kleinigkeiten keine allzu hohe Bedeutung. Achselzucken von beiden Elternteilen. Er will nicht in die Wiege? Schläft er eben auf dem Sofa.
Und plötzlich passiert etwas, mit dem du gar nicht gerechnet hast. Es tauchen die schlimmsten aller Ratgeber in deinem Leben auf. Die, die man nicht bei Bedarf durchlesen kann und sonst weglegt, wenn man möchte. Die fleischgewordenen Ratgeber. Und sie lauern überall, in der Nachbarin, dem guten Kumpel, der ehemaligen Arbeitskollegin. Erst sie geben dir das Gefühl, dass bei dir zu Hause etwas nicht stimmt.
“Er liegt nicht gerne in seiner Wiege?” Dann eine bedeutungsschwere Pause, als sei dies psychologisch dermaßen bedenklich, dass wir mit dem Schlimmsten rechnen müssen. Und dann kommt er. Denn scheinbar jedermann und jedefrau hat einen todsicheren Tipp, der auf jeden Fall klappt. Und jeder weiß etwas anderes. Und vor allem alles besser. Sogar die Menschen, die nur mit Kindern in Kontakt kommen, wenn sie sich in der U-Bahn zufällig neben sie setzen. “Bestimmt hat er Hunger-Leg ein T-Shirt von dir mit rein, damit er dich riechen kann-Fahr mit dem Stubenwagen in der Wohnung rum, er muss Bewegung spüren-Das Baby muss da durch, lass ihn liegen, auch wenn er schreit, sonst hat er euch immer im Griff.”
Und was ist das falsch-falscher-falscheste was wir neugebackenen Eltern dann tun? Wir hören auf alles. Wir probieren alles aus. Bei anderen hat es doch auch geklappt. So weiß der neue Erdenbürger gar nicht mehr wie ihm geschieht, denn so findet sich der Sofalieger im Stubenwagen fahrend, eine Zeit lang schreiend, aber immer äußerst unzufrieden wieder. Auf dem Sofa ist weiterhin alles ok, geändert hat sich also nichts. Man ist nur selbst frustrierter und zweifelt an sich.
Alles sind gute Tipps oder aufrichtige Erfahrungen, die allesamt mal funktioniert haben. Vor vierzig Jahren, in einer anderen Situation, einer anderen Umgebung, bei anderen Eltern, bei einem anderen Baby. Eben nicht bei unserem.
Ja, alle Tipps sind sicher gut gemeint. Aber sie lassen einen nur vergessen, auf das eigene Gefühl zu hören: Auf den Bauch. Der meistens am besten weiß, was eigentlich wirklich los ist. Und nach allen Verwirrungen denken wir uns das, was die Menschen anstatt ihrer Tipps eigentlich sagen sollten: “Hey, ihr macht das gut! Vertraut euch selbst, ihr kriegt das hin.”
Was wäre denn laut unserem Bauch die einfachste Erklärung? Vermutlich, dass er die Wiege eben einfach nicht leiden kann? So wie wir manche Gewürze oder manche Filme einfach blöd finden, ohne genau zu grübeln, wieso eigentlich. Das ist ein guter Grund. Wir atmen auf. Wir haben ein ganz normales Baby. Kein durchtriebenes oder schwieriges. Einfach eines, das seine Wiege nicht leiden kann.
Und so rufe ich ehrlichen Herzens meine liebe Freundin an, die uns so bereitwillig die schöne Wiege ausgeliehen hat, um ihr zu beichten, dass wir sie leider doch nicht benötigen. Sie reagiert großartig. “Ist doch kein Problem. Wir nehmen sie das nächste Mal wieder mit.”
Dann lacht sie. “Weißt du, was lustig ist?”, fragt sie mich. “Unser Sohn wollte irgendwie auch einfach nie darin liegen.”
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